*frei nach verschiedenen Quellen
Das Ziel der Erziehung liegt darin, Kinder und Jugendliche zu sittlichen Menschen zu formen. Die „Wucht der persönlichen Neigungen“ verhindert oftmals sittliches Handeln. Es gilt also, Kinder und Jugendliche zu staatsbürgerlicher Verantwortung zu erziehen, das bedeutet: Die Erziehung des Menschen zu verantwortungsbewusstem Denken und Handeln in einer staatlichen Gemeinschaft, die auf einer demokratischen Grundlage basiert.
Hahns damals formulierte Verfallserscheinungen der Gesellschaft sind heute wieder aktuell. Durch die rasante Weiterentwicklung der sozialen und technischen Veränderung können Menschen überfordert sein. Durch andauernde Überforderung entstehen in der Gesellschaft Mangel- bzw. Verfallserscheinungen:
1. Der Verfall der menschlichen Anteilnahme
Durch dauernde Hektik, Ruhelosigkeit und online sein entsteht eine „Pausenlosigkeit des Daseins“. Diese Pausenlosigkeit vernichtet zunehmend die Kraft und die Chancen des intensiven menschlichen Erlebnisses. Die Sucht nach oberflächlicher Sensation erstickt die Fähigkeit zu intensivem Gefühlen und wahrem Mitgefühl.
Der Stress des modernen Lebens fördert eine Oberflächlichkeit, die Menschen gleichgültig werden lässt. Diese Schnelllebigkeit führt zu einer Anonymität, die es erlaubt „wegzusehen“. Dies bedeutet den Verlust von persönlicher Verantwortung.
2. Der Verfall der Sorgsamkeit
Der Verfall der Sorgsamkeit äußert sich in einem Nachlassen der Konzentration, in einer weit verbreiteten Unordentlichkeit und in der fehlenden Bereitschaft zu komplizierten und mühevollen Arbeiten. „Sorgsamkeit und Geduld vertragen sich nicht mit der Hast des modernen Lebens“, sagt Hahn. Der damit zunehmende Verlust an Konzentration, Ausdauer und Kreativität geht einher mit dem Verlust des praktisch- handwerklichen Könnens.
3. Der Verfall der persönlichen Initiative
Das Sammeln von Eindrücken ist heute so einfach wie nie zuvor. In den aktuellen Medien können Kinder und Jugendliche an spektakulären Erlebnissen teilhaben ohne selbst beteiligt zu sein. Sie teilen die Erfolge ihrer Helden ohne selbst die für den Erfolg nötigen Anstrengungen durchzumachen. Die Beschränkung auf die erfolgreiche Seite der Handlung enthält das Problem das die untrennbar mit dem Erfolg verbundenen Mühen und Anstrengungen und Misserfolge ausgeklammert werden. So entsteht Passivität und daraus kann sich Teilnahmslosigkeit entwickeln. Dies führt zu einem Verlust von eigenverantwortlichen Handeln und die Bereitschaft zur Initiative. Der Mensch wird zum passiven Zuschauer (s. social media) degradiert.
4. Der Verfall der körperlichen Tauglichkeit
Mangelnde Bewegung, viele Tätigkeiten im Sitzen und auch die Symptome der zweiten und dritten Verfallserscheinung fördern Verweichlichungstendenzen, unnatürliche Lebensweise und mangelnde Disziplin gegenüber Rauschmitteln und der Gesundheit.
Um diesen vier Verfallserscheinungen entgegenzuwirken werden in dem erlebnispädagogischen Konzept nach Kurt Hahn vier charakterbildende Elemente entgegengestellt. Diese vier Elemente stehen erstmal für sich, sind aber alle notwendig und bedingen einander um charakterbildend zu wirken:
1. Das körperliche Training
Sport bzw. körperliches Training wird zur Selbstentdeckung, der Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen und zur Selbstüberwindung genutzt. Es geht hier nicht um Leistungssport sondern um einen allgemeinen Fitnessgrad, orientiert an dem Schwächsten der Gruppe. Der eigene Wille wird gestärkt. Auch ungewohnte Disziplinen sollen trainiert werden.
2. Das Projekt
Das Projekt wird individuell gewählt und besteht aus der Planung, Durchführung und Kontrolle einerseits, andererseits aus dem Anspruch, verschiedene Sinnesbereiche die Intensität der Erfahrung zu ermöglichen. Dazu zählen der kognitive, affektive und psychomotorische Bereich (Kopf, Herz, Hand). Das Projekt ist eine abgeschlossene Einheit mit einem präsentierbarem Ergebnis.
3. Die Expedition
Dies ist eine mehrtägige Herausforderung mit dem Schwerpunkt Natur. Hier wird Teamfähigkeit ebenso benötigt wie die Fähigkeit alleine zu sein. Lernziele der Expedition sind bspw. Intensive Planung, Sorgsamkeit, Umsicht, Entschlusskraft, Widerstandsfähigkeit, Flexibilität, Zähigkeit in der Durchführung sowie Nervenkraft.
4. Der Dienst am Nächsten (Rettungsdienst)
Im Rettungsdienst können Kinder und Jugendliche ihr Handeln direkt und wirksam erkennen. Das Gleichnis des barmherzigen Samariters soll hierbei handlungsorientierend sein. Es geht jedoch nicht um mitleidende Teilnahme bei fremden Leid, sondern um energische Teilnahme (die praktische Tathandlung). Energische Teilnahme wird mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe verbunden. Die realistische Schulung für den Ernstfall hat eine befreiende und veredelnde Wirkung auf junge Menschen.
Hahn stellt fest: Retten zeigt stärkere Dynamik als Krieg, Retten befriedigt den Drang sich selbst zu bewähren und Heranwachsenden muss ein Aktionsfeld geboten werden.
Entscheidend ist bei diesem Konzept die Freiwilligkeit, diese wird als pädagogisches Instrument genutzt.
Für seine Schulen formulierte Hahn die folgenden „Salemer Gesetze“
Erstes Gesetz
Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken
Jeder Junge und jedes Mädchen hat eine „grande passion“, die oftmals verborgen und bis ans Lebensende unerfüllt bleibt. Der Erzieher kann nicht darauf hoffen und darf nicht versuchen, sie durch psychoanalytische Methoden herauszufinden. Die „grande passion“ kann und wird dadurch zutage treten, dass das Kind mit vielen verschiedenen Aktivitäten in enge Berührung kommt. Wenn ein Kind zu sich selbst gefunden hat, wird man oft einen Freudenruf hören oder entzückt sein von einer anderen Äußerung seines elementaren Glücks. Aber solche Aktivitäten dürfen nicht den Überbau bilden für einen ermüdenden Stundenplan. Diese Aktivitäten müssen einen entscheidenden Teil des Gemeinschaftslebens ausmachen, sonst können sie das Kind nicht fesseln und es zu sich selbst finden lassen. Ist die heilsame Leidenschaft erst einmal entdeckt, wird sie zum „Schutzengel“ der Pubertätsjahre, während der unentdeckte und ungeschützte Junge zwischen elf und fünfzehn Jahren seine Lebenskraft selten ungebrochen und unverfälscht bewahrt. Wir möchten sogar behaupten: oft ist der Unterschied in der geistigen Reife eines Jungen von fünfzehn und elf größer als der zwischen einem fünfzigjährigen Mann und einem fünfzehnjährigen Jungen.
Zweites Gesetz
Lasst die Kinder Triumph und Niederlage erleben
Sie müssen lernen, „diese beiden Verführer genau gleich zu behandeln“. Man kann die Neigungen und Begabungen eines Kindes fördern und vorsichtig für eine ununterbrochene Reihe von Erfolgserlebnissen sorgen. Man mag es dadurch glücklich machen – das bezweifle ich-, aber mit Sicherheit wird es untauglich für den Lebenskampf. Salem glaubt, dass man die Schwächen des Kindes genauso wie seine Stärken entdecken muss. Lasst es sich für Unternehmungen begeistern, in denen es wahrscheinlich versagt, und vertuscht nicht dieses Versagen. Bringt ihm bei, Niederlagen zu überwinden. „Wer überwindet, dem werde ich vom Baum des Lebens zu essen geben“.
Drittes Gesetz
Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Sache
Auch jüngere Kinder sollten Aufgaben übernehmen, die von größter Bedeutung für die Gemeinschaft sind. Sagt ihnen von Anfang an: „Keiner darf von uns Passagier sein, alle sind Schiffsmannschaft bei der abenteuerlichen Fahrt durch die Neue Landschule. Übertragt Jungen und Mädchen verantwortliche Pflichten, die ernst genug sind, um den Schulstaat zu zerstören, wenn sie schlampig durchgeführt werden“.
Viertes Gesetz
Sorgt für Zeiten der Stille
Nach dem großen Vorbild der Quäker. Wenn die heutige Generation nicht früh die Fähigkeit zu Ruhe und Besinnung erwirbt und einübt, wird sie schnell und vorzeitig erschöpft sein von der nervenzehrenden und zerrüttenden Zivilisation der Gegenwart.
Fünftes Gesetz
Übt die Phantasie
Man muss sie in Bewegung setzen, sonst wird sie verkümmern wie ein unbetätigter Muskel. Die Kraft, dem drängenden Reiz des Augenblicks zu widerstehen, kann im späteren Leben nicht erworben werden; sie hängt oft von der Fähigkeit ab, sich klar zu machen, was man plant und hofft und fürchtet für die Zukunft. Genusssucht ist vielfach Folge eines Mangels an Vorstellungskraft: “Wer das Ferne nicht bedenkt, dem ist Betrübnis nahe.” (Goethe)
Sechstes Gesetz
Lasst Wettkämpfe eine wichtige aber keine vorherrschende Rolle spielen.
Der Sport leidet nicht, wenn er auf seinen Platz gewiesen wird. Indem man ihn entthront, erhält der Usurpator in Wirklichkeit seine Würde zurück.
Siebtes Gesetz
Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit
Dekadenz ist nicht immer ein unabwendbares Naturgesetz, häufiger ist sie eine absichtliche Verschwendung eines großartigen Erbes. Solange sie auf ihre Kreise beschränkt sind, haben die „armen“ Jungen und Mädchen der Reichen keine Möglichkeit, sich zu Männern und Frauen zu entwickeln, die überleben können. Lasst sie die Erfahrungen eines faszinierenden Schullebens mit Söhnen und Töchtern teilen, deren Eltern um ihre Existenz zu kämpfen haben. Keine Schule kann eine Tradition von Selbstdisziplin und tatkräftiger, freudiger Anstrengung aufbauen, wenn nicht mindestens 30 Prozent der Kinder aus Elternhäusern kommen, in denen das Leben nicht nur einfach, sondern sogar hart ist.
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